(Übersetzung von Anne Begenat-Neuschäfer, Marie-Jacques Lueken, Marieke Gillesen, Vanessa Kayling, Angelika Schirmer, Mariele Vierhaus und Adi Teubner – Shaker Verlag – Aachen 2017)
Es war das Land des Biers. Schon seit Monaten wollte ich ein Buch über einen italienischen Maler des Trecento schreiben, Bernardo Daddi mit Namen, dessen Gemälde ich in der Toskana gesehen und dessen Lebensdaten mich nachdenklich gestimmt hatten. (…) Zunächst war diese Idee in meinem Kopf hängen geblieben, wie etwas beim Kochen unten im Topf haften bleibt. Und ich hatte wie ein Verrückter gekratzt, um auf den Grund zu kommen. Ich wusste nicht, wie ich sie angehen sollte, diese Idee, um aus ihr etwas Gelungenes zu machen. Denn im Grunde passte mir dieser frühe Tod, dieses kurze Leben nicht, aber ich spürte wohl, dass dahinter noch etwas anderes steckte, dass mich nicht nur das tragische Schicksal des Malers ansprach, sondern die Epoche wie ein schwarzes Loch. Das ganze 14. Jahrhundert fixierte mich mit einem düsteren Blick. Es hatte sich wie ein Sarg geöffnet, um den Tod aufzunehmen, sich wieder geschlossen, wie Ober-und Unterkiefer, die in der Dunkelheit der Zeit aufeinanderschlagen. Das war es, dieses verhallte Echo aus der Vergangenheit, das wie ein erbärmliches Aufstoßen menschlicher Verdauung meine Fantasie angeregt hatte. Genau das nämlich hatte ich empfunden, aus den kleinen Bildern des Malers und seinen verwirrenden Lebensdaten trat mir das Gespenst eines Jahrhunderts entgegen. Jenseits der religiösen ikonographischen Konventionen spürte ich noch die einfachen Striche der Zeichnung, die goldene Farbe, die alles bedecken sollte, einer Frau vergleichbar, die sich zu Beginn der Nacht mit Juwelen behängt. Hinter seinen Bildern war mehr als menschliche Regung, es war der Tod, der an die Tür klopfte, der Tod selbst, der an das Tor des Jahrhunderts hämmerte. Seine drängenden, wiederholten Schläge donnerten in das Schweigen hinein, ließen die Mauern des Schlosses erbeben, verlangten, was ihnen zustand wie nächtliche Einbrecher, ja,, das war mehr als der Hauch einer menschlichen Präsenz, hinter diesen Werken stand die Erschütterung eines Jahrhunderts. Ich war gerade in Prag angekommen, wo der Wein sauer schmeckte und in dem, was ich für mein erbärmliches Leben hielt, hatte ich mich dazu entschlossen Pilsener Bier zu trinken. (…) Etwa 100 Meter von der Wohnung weg, die ich vier U-Bahn-Stationen vom Stadtzentrum entfernt gefunden hatte, (…) war mir eine Tankstelle aufgefallen, die rund um die Uhr geöffnet war. (…) Nachts, wenn mich meine Schritte zur Quelle führten, sah ich aus der Ferne die Leuchtreklame der Tankstelle über die Dunkelheit triumphieren und dem Getöse des Verkehrs, das über sie hinwegbrauste, widerstehen. Dann musste ich an Daddis Gemälde denken, kleine goldfarbene Vierecke, die gegen die dunklen Mächte kämpften. Das Neonlicht beruhigte mich sofort, der Kühlschrank schnurrte wie eine Katze, die einem um die Beine geht, ich fand die glänzenden Flaschen des Pilsner Urquell und zog mit zwei Litern blonden Biers unter dem Arm in die Dunkelheit zurück – es ging mir gut. (…)